Brief an die Kreisräte

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachdem ich, als Bürger von Geislingen, die Gemeinderatssitzung am 21.04.2021 zur Zukunft der Helfensteinklinik verfolgt habe, ist es mir ein dringliches Anliegen meine Wahrnehmung und Gedanken dazu mit Ihnen zu teilen.

Bekanntermaßen gibt es zur Sanierung mittlerweile drei Gutachten. Das erste Gutachten im Kostenrahmen von 10-15 mio. EUR, das zweite über rund 30 mio. EUR und das dritte und letzte über rd. 50 mio. EUR. Laut Klinikleitung ist im letzten Gutachten ein sehr hoher Kostenanteil auf eine Interims-OP-Lösung während der Sanierung enthalten. Die Frage nach der Höhe konnte die Klinikleitung nicht beantworten. Die aktuelle Planung sieht vor in Geislingen die OP-Säle weiter zu betreiben bis der Neubau in Göppingen fertig ist und dann komplett dorthin zu verlagern. Die Interimslösung muss und kann dann nur Eichert/Göppingen lauten. Nach aktuellem Vorschlag sollen die gesamten OP-Kapazitäten nach der Fertigstellung des Eicherts von Geislingen dauerhaft nach GP verlagert werden. Auf zweimaliges Nachfegen von OB Dehmer nach der Notwendigkeit und den Kosten der Interimslösung hüllten sich die Vertreter der Klinikleitung in Schweigen. Wie dies zu interpretieren ist, bleibt dann wohl jedem selbst überlassen.

Auf Basis dieser Tatsache ist zumindest das letzte Gutachten aus Kosten- und kalkulatorischer Sicht wohl kaum tragbar, noch lässt sich auf dessen Basis eine im Ansatz seriöse Entscheidung treffen! Egal, ob als nicht aktivierbare Kosten oder als Afa, hat ein hoher Anteil von 50 mio. EUR einen Einfluss auf eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung eines Unternehmens oder Klinik.

Die personelle Verfügbarkeit und die damit verbundenen Kosten sind ein weiteres Hauptargument gegen den Erhalt der Helfensteinklinik. Der Personalmangel im Gesundheitssektor ist ein bundesweites Problem und landes- und bundespolitisch erkannt. Mit etwas Optimismus ist hier eine mittel- und langfristige Verbesserung zu erwarten. Mit dieser Begründung eine Klinik zum jetzigen Zeitpunkt dauerhaft zu schließen kann nicht akzeptiert werden.

Unter Anbetracht der defizitären Alb-Fils-Kliniken ist es richtig und muss es in höchstem Interesse der Klinikverwaltung sein die Effizienz und die Kostenstruktur soweit als möglich zu optimieren. Ich glaube auch den Vertretern der Klinikleitung und Landrat Wolff den Wunsch und ein Interesse zu haben die Helfensteinklinik zu erhalten. Den Kern des Problems sehe ich allerdings darin, dass eine Personaleinsatzoptimierung, Effizienssteigerungen und eine optimierte Kostenstruktur in absolutem Widerspruch zu zwei Standorten und somit zum Erhalt der Helfensteinklinik stehen.

Der Wunsch ist also sicherlich vorhanden. Der einfachere und günstigere Weg ist aber zweifelsohne die Helfensteinklinik zu schließen. Somit ist für mich klar, in welche Richtung die Bemühungen seitens der Klinikleitung gehen und die Ergebnisse der Gutachten verwundern mich in keinster Weise. Denn jedes Gutachten ist so „gut“ wie die zur Verfügung gestellten Angaben und Daten. Und diese stammen wohl zu einem überwiegenden Teil von der Klinikleitung. Sprich, zieht man die Vorgaben und Prämissen nur straff genug, ist das Ergebnis relativ gut kalkulierbar. Persönlich vermisse ich den wirklichen Willen der Klinikleitung den Standort zu erhalten.

Im Gegensatz dazu liegen die Interessen der Bürger nicht an einer einfachen Lösung, Personaleinsatzoptimierung und Kosteneffizienz, sondern an einer zuverlässigen Gesundheitsversorgung vor Ort.

Alle Gutachten kommen zu dem Schluss, dass die Helfensteinklinik nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Muss sie das denn? Oder muss die Frage nicht eher lauten: Was ist dem Kreis eine bürgernahe Krankenversorgung ihrer Bewohner des oberen Filstals wert?

Ein Blick in den Nachbarkreis lässt auch Fragen aufkommen, wie:

  • Was kann die Klinikleitung der ADK im Alb-Donau-Kreis mit ihren kleinen Standorten Ehingen, Blaubeuren und Langenau mit ambulanten und stationären Behandlungen, was unsere Klinikleitung nicht kann oder was ist dem Alb-Donau-Kreis eine lokale Gesundheitsversorgung in Euro wert, was sie dem Kreis Göppingen nicht wert ist?

  • Wäre es nicht einen Blick nach Rheinland-Pfalz wert, wo gerade erst ein Projekt zum Erhalt von ländlichen Kliniken gestartet wurde? Wohl nicht ohne Grund!

Über die Zukunft des Standorts Geislingen wurden in den letzten 7 Monate zwei Szenarien vollmundig angepriesen. Im Oktober 2020 war es der Gesundheitscampus, der im März bereits von der Praxisklinik abgelöst wurde. In der laufenden Diskussion kündigte allerdings Landrat Wolff zur Praxisklinik bereits Gesprächsbedarf und Verhandlungsbereitschaft an. Ein schlüssiges Konzept besteht jedenfalls nicht und die aktuelle Planung ist wohl eher als Planlosigkeit zu bezeichnen.

Auf Fragen aus dem Gremium zum Risiko der Abwanderung von Patienten aus dem Geislinger Raum in andere Kliniken als dem Eichert sehe ich auf Seiten der Klinikleitung eine kapitale Fehleinschätzung. Auf die Frage wie viele der Neugeborenen aus dem Geislinger Raum in Göppingen entbunden wurden, wusste Herr Schmid keine Antwort, schätzte letztendlich aber ca. 70%. Aus unserem persönlichen Umfeld kann ich gesichert sagen, lag die Quote die letzten 5 Jahre bei 20%. Diese Quote ist auf Grund der Anzahl mit Sicherheit nicht repräsentativ, aber dennoch ein Indiz und auf jeden Fall gesichert. Ulm bzw. der Alb-Donau-Kreis bieten ein breites Angebot mit gutem Ruf und einer guten Erreichbarkeit.

Auf die Frage, welche Auswirkungen es für Göppingen hätte, wenn die niedergelassenen Ärzte nicht, oder nicht mehr nach Göppingen überweisen würden, antwortete der kaufmännische Leiter: es wäre sehr schlimm und auch nicht sachgerecht. Hier stellt sich die Frage, mit welchem Anspruch die Geschäftsleitung dies einfordert. Im Gegensatz zur Helfensteinklinik hat die Klinik am Eichert in Rankings und, nach meiner Einschätzung, im Geislinger Raum einen äußerst schlechten Ruf. Letztendlich ist es nicht nur eine Entscheidung der Ärzte, in welche Klinik überwiesen wird, sondern de facto auch die des Patienten. Die Frage ist also nicht, ob es zu Verschiebungen in Richtung Ulm, Blaubeuren, Heidenheim und auch Langenau kommen wird, sondern wie massiv diese sein werden. In Umlandgemeinden, die im Einzugsbereich der Helfensteinklinik liegen, wie Amstetten, Lonsee, Nellingen und auch Böhmenkirch muss wohl eher von einer Abwanderung von bis zu 100% ausgegangen werden.

Niedergelassene Ärzte im Ärztehaus nennen die Nähe zur Helfensteinklinik als einen entscheidenden Vorteil bei der damaligen Standortwahl. Die ersten Mietverlängerungen stehen innerhalb der nächsten zwei Jahre an. Ein Kartenhaus, das zusammenfallen droht.

Auch die angespannte Personalsituation wird sich aus der Zusammenlegung der beiden Standorte wohl kaum beheben lassen. Ein doch wesentlicher Teil der Belegschaft ist wohnhaft im Alb-Donau-Kreis und deren Bereitschaft sich täglich auf der B10 nach Göppingen zu quälen ist doch sehr fraglich. Alternative und attraktive Arbeitgeber, die angenehmer zu erreichen sind, werden leicht zu finden sein.

Zu guter Letzt ergibt sich aus dem Rettungsdienstgesetz eine Hilfsfrist, die in der letzten Fassung nochmals zeitlich verkürzt wurde. Ist diese bei einem Rettungseinsatz mit einem Start des RTW in Göppingen ins obere Filstal einzuhalten? Bei entsprechender Verkehrslage ergibt sich aus Anfahrtszeit und Transport in die Klinik eine reine Fahrtzeit von locker bis zu einer Stunde.

In Anbetracht der aktuellen Situation, der nicht vorhandenen konzeptionellen Planung für den Standort Geislingen und der für mich äußerst fragwürdigen Gutachten kann zum jetzigen Zeitpunkt keine angemessene Entscheidung mit einer solchen Tragweite zur Zukunft der Helfensteinklinik getroffen werden. Aus meiner Sicht ist zur Erhaltung einer angesessenen und sicheren medizinischen Grund- und Notfallversorgung die Schließung der Helfensteinklinik grundsätzlich keine Option.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Bayer